white cargo
in german only

Archiv für den Monat: März 2016

IM PAPIERKORB DER GESCHICHTE

IMG_1571
Keith Emerson, der Keyboarder von „Emerson, Lake and Palmer“, hat sich neulich in Santa Monica mit 71 eine Kugel in den Kopf geschossen. ELP ist eine längst vergessene Prog-Rock-Band, das ist die Kurzform von „Progressive Rock“, einer Musikrichtung, deren Ambition auch schon ihr schleichender Untergang war, nämlich durch Annäherung an Klassik und Jazz etwas vermeintlich Besseres zu sein als eine Rockband. Ein ebenso hilfloser wie vollkommen rätselhafter Wunsch, der zu grausamen Ergebnissen geführt hat, das weiß jeder der schon mal Jon Lord oder Rick Wakeman bei klarem Verstand gehört hat.

Der Beitrag von Emerson zur internationalen Hippie-Kultur ist glaube ich unbestritten, ich sage nur „ausufernde Keyboard-Soli“. Und jetzt kommt’s, zwei steile Thesen: Das Stück Lucky Man ist nicht nur schaurig-schön und offenbar ihr größter Erfolg gewesen, es zeigt ab Minute 3’23 auch etwas, das in den Neunzigern Folgen gehabt haben könnte, nämlich das lustbetonte Benutzen eines Synthesizers gegen die Betriebsanleitung, ein Verfahren, das zu den Geburtshelfern des Technos gehört. Emerson als Vater des Raves? Eher nicht, hier kommt These zwei: je mehr progressiver Hippie gewesen, desto schlimmerer Sack im Alter. Rick Wakeman, der als Keyboarder der Bands „Yes“ und „Asia“ gleich die doppelte Strafe absitzen müsste, hat 1977 persönlich bei der Plattenfirma eingegriffen, um zu verhindern, dass die „Sex Pistols“ unter Vertrag genommen werden. Doofheit in zwei Punkten: der Glaube, ein führendes Label würde sich außerhalb der zu erwartenden Umsätze tatsächlich für „Musik“ interessieren, und der Versuch, etwas Neues aufzuhalten, nur weil man es nicht versteht.

Leider schien Keith Emerson in ein ähnliches Horn zu blasen, Punks waren auch für ihn „Neandertaler“ und steter Quell der Verachtung, und einer der letzten Einträge in seinem Blog galt dem angeblichen Standesdünkel des BBC Rundfunk Orchesters, das es bei der Aufführung eines seiner Spätwerke geschafft hatte, den Meister zu verärgern, in dem es in bewundernswerter Indifferenz Ohrstöpsel benutzte, um die jaulenden Keyboard-Soli unbeschadet zu überstehen. Zwei von Ihnen verliessen offenbar auch die Bühne mitten im Stück. „Rock musicians don’t behave like this“, mault Emersons letzter Satz, und vielleicht ist das genau das Problem, lässt es doch schon die BBC-Streicher als vergleichsweise originelle Punker dastehen.

Direkt darüber steht auf der Homepage auch Emersons letztes Video, bei dem man lernen kann, dass ein alter Traum offenbar auch der sein kann, einmal im Leben beim Jubiläum des „hardest day“ (Luftschlacht um England) ein Kampfflugzeug namens Spitfire als Co-Pilot zu fliegen, aber gut: schlechter Geschmack ist natürlich Privatsache. Das Video ist, klar, mit seiner Musik unterlegt und ein schmerzhafter Beleg für siehe oben. „Warum will keiner mehr mein Brandenburgische-Konzerte-Lookalike-Georgel hören?“ schreit einem der Soundtrack förmlich entgegen, davor stampft militärisch ein Bolero à la Ravel vor sich hin.

Überhaupt scheint ein gemeinsames Merkmal dieser Herren (es gibt keine Frauen im Prog Rock) das schlechtgelaunte Herumsitzen in sehr großen englischen Landhäusern zu sein (ELP: 50 Mio. Alben in vier Jahren). Belege habe ich keine, aber Indizien: Tony Banks, neulich in dieser Genesis-Doku auf arte, wie er im permanenten Wechsel zwischen Verteidigung der eigenen Bedeutung und sichtbarer Geringschätzung des entspannt in der Runde sitzenden Peter Gabriel statt eines Kopfes nur noch eine große beleidigte Leberwurst auf den Schultern trug. Oder Roger Dean, mit seinen Harley-Airbrush-Fantasywelten so etwas wie der Chef-Grafiker des Prog Rock (siehe so ziemlich jedes „Yes“-Albumcover), der James Cameron erfolglos verklagte, weil dieser in „Avatar“ seinen Style geklaut habe (der mir eher von Bilal und Moebius inspiriert scheint). Oder, etwas off topic, „Led Zeppelin“s Jimmy Page, seinen Nachbarn Robbie Williams vor Gericht zerrend, weil der bei seinem Millionen-Villen-Neubau plötzlich in Jimmys‘ Millionen-Villen-Altbau gucken kann. Der gängige Schmäh-Begriff für das Genre lautet übrigens „Hobbit Rock“.

Der vorletzte Satz soll Jon Hunt vom L‘ Étoile Magazine gehören, dem einzigen Prog Rock Verfechter mit Humor und Selbstironie, der offenbar bis heute nicht müde wird, seine unmittelbare Umgebung mit dem Abspielen von Gentle-Giant-Doppelalben zu traktieren. Aber selbst bei ihm fällt zu „Emerson, Lake and Palmer“ nur ein wirklich markanter Satz: „Keith Emerson, as everybody knows, is a straight-up dick.“

Also, liebe Jugendliche: Finger weg von den Keyboards. Es sei denn, ihr macht damit so etwas.