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Archiv für den Monat: Mai 2020

CONTAINER I/2020

In den Container wandern alle kleinen Begeisterungen der letzten Wochen

Neue Sachlichkeit (1)  Als entspannt pragmatisch und angenehm tröstlich wird von mir neuerdings der Einsatz von rudimentär-künstlicher Intelligenz am Handy empfunden. So vervollständigt die Autokorrektur von WhatsApp mittelkomplexe Begriffe innerhalb von einem Tag wie selbstverständlich von selbst, wenn man sie nur häufig genug eingegeben hat. Sowohl bei „Hirnblutung“ als auch bei „Intensivstation“ reichten bald schon die ersten zwei Buchstaben, um das gewünschte Wort als Vorschlag auf den Schirm zu kriegen.

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The Walking Dead  Ich konnte mir nicht vorstellen, dass eine Serie über den Kampf gegen Untote zehn Staffeln lang nicht nur tragfähig sein könnte, sondern überhaupt erst dann alles über die condition humaine würde erzählen können – indem sie einfach die Überlebensmöglichkeiten nach einer Pandemie anhand sämtlicher historisch denkbaren Staats- und Gesellschaftsmodelle zwischen Monarchie, napoleonischer Isolation und KZ-Regiment in allen Mikro- und Makro-Formen durchdekliniert. Und das alles unter amerikanischen Genre-Bedingungen, also weltweit verständlich, dabei aber auch unter so neuen und unerwarteten dramaturgischen Gesetzmässigkeiten wie dem unaufgeregten Wechsel zwischen langen intimen Dialogpassagen und dem beherzten Rammen von rostigen Schraubenziehern in faulige Zombieschädel. Dieses lauwarme Blutbad war mir tatsächlich neu und kostet dreieinhalb Millionen Dollar pro Episode. Der Spaß ist aber erst rund, wenn man alle Folgen mit einer Fünfzehnjährigen guckt. (Netflix und Sky, freigegeben ab 18)

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Der Junge mit dem Edding  Wenn neben den kostenlosen Hotel-Schlappen auch ein herumliegender Edding zur Hand ist, hat der Sohn kein Problem damit, den allseits gewünschten Distinktionsgewinn einfach selbst herzustellen. Der Handmade-Effekt zerstört dabei zum Glück sofort die Ernsthaftigkeit des Anliegens, ich bin ja auch viel lieber mit einem Witzbold auf Reisen als mit Louis Vuitton persönlich.

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Neue Sachlichkeit (2)  “Marlon Brando told me that, because of his stomach, he had not seen his penis for seven years. I am a rather pragmatic person. I suggested he try using a mirror.” — Donald Sutherland (032c, unpublished interview intended for Issue 28)

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12ter März. Heute zum ersten Mal wieder den ganzen Tag keinen Kapuzenpulli getragen (Hoodie klingt mir zu versöhnlich), zum ersten Mal seit Abflauen dieses Winters, dem ersten in dem ich kein einziges Mal Schnee schippen musste und dem ersten, von dem ich dauernd sagen soll, was mir denn dazu einfiele. Nichts, ausser dass ich normalerweise nie wusste, wann er genau zu Ende ging, bei Träumen weiß man ja auch nie genau, wo sie angefangen und ob sie überhaupt aufgehört haben. Es war also der zwölfte Dritte, und wie immer, wenn etwas beschrieben wird das gerade vorbei ist, gibt es einen gewissen Anlaß zur Traurigkeit.

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BE  Ich habe Bernd Eichinger ein einziges Mal getroffen, auf dem Pausenflur bei ARRI in Schwabing. Ich hatte eine Tonmischung am einen Ende des Ganges, er schnitt den „Untergang“ am anderen. Es war eine denkbar kurze Begegnung, er stand mit Kaffee am Tresen, sah die angeknüllte Packung Camel ohne Filter in meiner Hand und meinte nur „endlich einer mit gscheiten Zigaretten, gib mir mal eine bitte“, worauf ich jene eine rausließ, mit irgendeinem gemurmelten „ist zwar die letzte, aber für Sie natürlich gerne“-Quatsch, was man halt so redet. Im Sinne seiner angenehm undeutschen Lebensleistung war das sogar aufrichtig, auch wenn mich eigentlich keiner seiner Filme wirklich begeistert hat, ausser dem „Bahnhof Zoo“ vielleicht, aber da war ich noch in einem zweistelligen Alter. Der gleichen Meinung ist mein Regie-Nachbar, der aber die Biographie empfahl und sie mir neulich auf den Terrassentisch gelegt hat. Mal sehen, ob Eichingers Frau die Fluppen-Story aufgegriffen hat. Ein bisschen gespannt bin ich schon.

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Neulich im Museum  Im Eingangsbereich des Haus der Kunst war schon vor den Kassen eine Installation aufgebaut, die mit einem luftig arrangierten Meer von aufgespannten Schirmen in Pop-Art-bunten Farben aus dem Vorraum eine wie hingetupfte Wolke entstehen ließ, die man als Besucher nur mit einem etwas umständlichen Zickzack-Kurs hinter sich lassen konnte, um in den seriös kuratierten Hauptraum mit aufwendig geklebten und montierten Collagen aus Afrika zu gelangen. Ein hübscher Kontrapunkt und gleichzeitig eine Art amüsantes Entrée, dass wohl die Ernsthaftigkeit der weiter hinten gezeigten Objekte ein wenig mit der sorglosen Schönheit dieser ‚objets trouvés‘ versöhnen sollte, die durch ihre bloße Präsentation automatisch eine Balance hergestellt haben, über die ich gerne gleich nochmal nachdenken würde, aber jetzt erstmal in die Cafeteria. Dort habe ich dann gemerkt, dass es einfach nur draussen regnet.

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