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Kategorie-Archiv: allgemein

ELVIS LÄSST EINEN FAHREN

Ich hatte kurz Lust aus aktuellem Anlass über den Haushalt und das Putzen zu schreiben, aber dann steckte unter den Verkrustungen zuwenig brauchbare Metaphysik. Der einzige Mehrwert schien mir zu sein, dass es danach sauberer ist als vorher und dass das in der Regel gut aussieht. Wigald Boning und Jürgen Urig haben es besser gekonnt und Lyrik quer durch alle Jahrhunderte gesammelt, die sich ausschliesslich mit dem Putzen befasst. Sie haben aber keine gefunden und mussten daher die Gedichte alle selber schreiben. Dafür haben sie das Institut für Putzpoesie – für den sauberen Reim gegründet, das durch Liebe zur schönen sprachlichen Form besticht, keine gymnasialen Reimketten verspricht und in seinen Ergebnissen trotzdem sehr eng mit den Gesetzmässigkeiten der Dichterbranche kuschelt. Es ist zum Glück auch nicht allzu lustig oder allzu lang geworden, ein „Akt der Höflichkeit, denn wir wollen ja bekanntlich alle ins Bett“ (Urig). Wenn man Bonings Managerin darauf anspricht, erntet man jedenfalls einen hintergründigen Blick und ein fein ironisiertes Augenrollen – es fliesst also kein Geld.

Angenehm fällt auch auf, dass keine Scheu vor dem Verlassen des monothematischen Weges besteht: um Elvis, die Note Fis und ein paar goldige Amsel-Küken zusammenzubringen, kann man auch mal gedanklich den Wischmob für einen Moment zur Seite legen. Das entsprechende Gedicht ist ganz zauberhaft geworden, Wigald hat es zur Verfügung gestellt und ich stelle es hier rein, obwohl ich mit Elvis eigentlich nichts anfangen kann, jetzt aber schon. Das Putzen geht nach der Lektüre auch ein wenig beschwingter von der Hand. Ich empfehle übrigens das Produkt „biff Bad Total Zitrus“: es hat vorne eine drehbare Plastikdüse, die dafür sorgt, dass sich ein feiner Sprühnebel über die Armaturen legt, den man dann nur noch wegspülen muss, ohne mühsam herumzuwischen. Bitte ein paar Minuten einweichen lassen.

Als Elvis letztmalig in einen Blaubeer-Pancake biss
vibrierte sein Zwölffingerdarm und es erklang ein hohes Fis,
und als des Königs Körper wenig später leblos in der Kiste lag
da schlich das Fis diskret hinaus, gerade noch bevor der Sarg
geschlossen und verbuddelt wurde.

Eine untersetzte Amsel hörte den verwaisten Ton,
nahm ihn unter ihre Schwingen,
um ihn fortan ihren Kindern vorzusingen,
die über der Leichenhalle in einer Magnolie piepten.
Sechs Tage sang Mutter vor,
am siebten sang der Kinderchor
das „Elvis-Fis“, um nicht zu sagen „Elfis“ nach.

Die Vogelkinder wurden groß und lehrten auch die ihrigen
das je nach Schnabelstellung heikle Fis,
just zwischen f und g.
Und immer wenn ich eine Amsel hör und seh,
wie sie Elfisse trällert,
flattert, schnabuliert und schwebt,
weiss ich – durch sie:
Elvis lebt!

Wigald Boning

RAMMLIEDER



Meine liebste Einstellung im „Deutschland“-Video von Rammstein zeigt die Häftlinge des Konzentrationslagers, wie sie in plötzlicher Umkehrung der Situation die Gewehre anlegen und wiederum ihre Nazi-Schergen töten. Dass sie dabei nicht verschämt und vergleichsweise heroisch ins Herz treffen, sondern den Schrot mitten ins Gesicht ihrer Peiniger schiessen, hat mir gut gefallen. Ebenso wie die Tatsache, dass beide Seiten von den Musikern der Band dargestellt werden, was die Idee der Ambivalenz unterstreicht, für die die Band verlässlich garantiert wie kein anderes Kunst-Kollektiv in ihrer mutlosen, traurig ambivalenzfreien Heimat.

    

Meine liebste Einstellung im „Radio“-Video von Rammstein lässt Till Lindemann für einen kurzen Augenblick selbstvergessen in die Ferne schauen, mit einem Blick, der mich an etwas erinnert: auch in Tchao Pantin („Am Rande der Nacht“), dem französischen Film Noir von 1983, wechselt Coluche für einen kurzen Moment den Ausdruck in seinen Augen und erzeugt damit ein fast schon ikonisches Abbild seines Gesichts, randvoll mit Melancholie und Gleichgültigkeit gegenüber einer Zukunft, die für ihn nichts mehr bereitzuhalten scheint. Das bezieht sich wohl in erster Linie auf den Tankwart Lambert, den er bei Claude Berri zu spielen (und zu überwinden) hatte, aber Coluche stiess dann tatsächlich mit seinem Motorrad frontal und ohne Helm in einen Lastwagen und starb. Lindemann hingegen füllt im Augenblick die Stadien aller deutschen Grossstädte. Hier hat sich der Gedanke der Ambivalenz selbständig gemacht und greift in Bereiche ein, die niemand unter Kontrolle haben kann und die undurchschaubar bleiben müssen. Es ist seltsam beruhigend und beunruhigend zugleich, dass es möglich ist, von der Kunst darauf gelenkt zu werden.

 

FRANÇOISE ET MOI

Der Junge, das bin ich. Er sitzt vor einem Fernseher, schwarz/weiß wie der ganze Clip, nur bekleidet mit einer Pyjamahose, und er bewundert im Halbdunkel diese enigmatische Sängerin, die auf dem Bildschirm mal als junges Mädchen, dann als ältere, aber nicht gealterte Frau erscheint. Er schläft auf ihren alten Fotos, sie nimmt ihn an der Hand, wie stets im schwarzen Smoking von Yves Saint Laurent, und erzählt davon dass keine Träne ihr die Luft wird nehmen können und alles gut werden wird, wenn sie das Weite suchen und einfach davonsegeln wird, quand je prendrais le Large. François Ozon hat das inszeniert, und Le Large, ein weiteres erratisches Lied, ist die vorläufig letzte Single von Françoise Hardy, der mysteriösesten, entrücktesten Legende des französischen Chanson. Es stammt aus dem Frühsommer diesen Jahres, und der Junge im Video, das bin eigentlich ich, wie gesagt.

Françoise Hardy hat alles verzaubert, was in meiner späten Kindheit oder frühen Jugend in der Pariser Banlieu mit Hilfe einer Tonspur hätte verzaubert und damit erhöht werden können – Soundtrack of my life. Mit einer Stimme wie ein Zauberstab, und einer Erscheinung wie diese älteren Mädchen auf dem Pausenhof sie nunmal hatten, deren unfassbar langen Beine einen nur ganz kurz von dem Gesicht mit den traurigen Augen ablenken konnten, in denen man amouröses Unglück vermuten durfte, aber was hätte man schon machen können? Mit zehn Jahren die schwachen Muskeln spielen lassen, um als imaginierter großer Bruder bei solchen Fabelwesen die eigenen Chancen zu erhöhen? (Welche genau, außer Eindruck machen, und sich selbst dabei lächerlich? – sie hätte es wohl niedlich gefunden, höchstens.)

Ihr erstes Lied schrieb sie noch vor meiner Geburt, und schon in Tous les garçons et les filles war sie kein Teil der restlichen Welt, in der Jungen und Mädchen Hand in Hand und Auge in Auge Pläne für die Zukunft hatten, während sie selbst mit beschädigter Seele allein in den Strassen wie ein geprügelter Hund lief, keinen an ihrer Seite, der ihr „Je t’aime“ ins Ohr hätte hauchen können. Es kann auch ein Fluch sein, so schön zu singen und zu sein. (Wie gesagt, ich war noch nicht geboren worden. Ich hätte es sonst womöglich versucht.)

Tombé du ciel sei Personne d’autre, das neue Album, vom Himmel gefallen, das sagt sie selbst, und genauso fiel es auch in meinen Schoß, durch einen Zufall. Der letzte Kontakt war 2006 Parenthèses, ein Album ausschliesslich mit Duetten an der Seite von Kollegen und Schauspielern, das im Büro und im Auto in Dauerschleife lief. Sie wollte dann keine Musik mehr machen, nach schwerer Krankheit und auch sonst nicht, und lieber ihre Bücher schreiben. Ich habe sie aus den Augen verloren, für viele Jahre.

Aber dann waren die Lieder eben da, wurden mehr und mussten raus. Daraus ist ein so scharf geschliffenes Juwel geworden, dass man es nur mit Handschuhen anfassen sollte; Melodien wurden ihr geschenkt, und wenn diese sie ausreichend verfolgt haben, hat sie einen ihrer so sprachverspielten Texte dazu geschrieben. Mit der Ausnahme von You’re my home, da gab es den Titel schon, und auch den Text, den sie so schön und unübersetzbar fand, dass sie zum ersten Mal seit Jahren auf englisch gesungen hat (das andere Lied ist hier). Was fast noch bezaubernder ist als auf französisch.

Der Trick ist die Scheu. Die Zurückhaltung, die Diskretion, der Abstand. Nicht mit der Tür ins Haus zu fallen (weshalb da immer eine Tür bleiben wird). Françoise Hardy zu duzen verbietet sich quasi von selbst, vor großem Publikum ist sie seit 1968 nicht mehr aufgetreten, Grund ist ihr legendäres, scheinbar unüberwindbares Lampenfieber. Dagegen der ganze YéYé-Schrott aus dieser Zeit, früher war nämlich auch schon nicht alles besser: Eine Brigitte Bardot, die sich mit Duckface-Lippen halbnackt auf der Harley räkelt und Zeilen von sich gibt, die schon vergessen sind bevor das Echo verklungen ist. (Aber die ist ja auch der Meinung, dass man streunende Hunde retten soll, Ausländer dagegen nicht.)

Oder, mit Blick auf die eigenen, seltsam kalt gewordenen Füße: eine Helene Fischer, mit ihren perfiden, verlogenen Durchhalte-Parolen, die sich an die Mutlosen richten, die nie für die Liebe etwas riskiert haben und sich nun den billigen Trost von PR-Profis abholen, angetreten um sich auf dem Rücken dieser traurig alltagszermürbten Zombies die Taschen vollzumachen. Hier soll man sich’s bequem machen in einem selbstgebauten Gefängnis, statt den Schlüssel zur Flucht zu suchen oder besser gleich die Abrissbirne. Schlager kommt offenbar doch von schlagen; Chanson erzählt was anderes: von Liebe und vom Gestern, vom Tod aber nicht vom Teufel.

Madame Hardy hingegen: von der Plattenfirma gebeten, die etwas flache Brust mit Stoff oder Papier auszustopfen, um mehr Sex in die Chose zu bringen: abgelehnt und fertig. Inspiré, pas fabriqué, wollte sie es haben, bis auf wenige Kompromisse in jungen Jahren ist sie auch dabei geblieben. Die Texte, mit einer seltsamen Fülle an Todessehnsucht: wenn von Abschied die Rede ist, gibt man sich nicht die Hand und au revoir, sondern wacht zum letzten Mal an einem anderen Ufer, ohne dass es einen Morgen geben wird, sans pouvoir te dire „a demain“. Rosen, die sterben, Fahrten ohne Wiederkehr, der Staub, der wir Morgen schon sein werden. Poésie? Mais oui.

Und dann ein solches Meisterwerk wie Tant de belle choses, eine der schillernsten Perlen des französischen Liedes, die mit Zartheit und Wahrhaftigkeit um Jahrhunderte alles überdauern wird, was die hässlichen Fratzen der französischen Realität alternativ gerade so zu bieten haben – fick Dich hart weg, Marine Le Pen! L‘Amour est plus fort que la mort.

Jahrzehnte später wird sie immer noch kultisch verehrt von Millionen Franzosen, die ihre gesamte Liebesbiografie als Abfolge ihrer Lieder begreifen und sich zu hunderten nostalgisch, sehr privat oder auch gleich mit fliessenden Tränen in den YouTube Kommentaren verewigen, als wäre es ein Kondolenzbuch. Alle erzählen von Toten, die unvergessen, und Zeiten, die unwiederbringlich sind. Und alle halten sich fest an ihren eigenen Ikonen, von Mon amie la rose bis Message Personnel (zu dem offenbar halb Frankreich das erste Mal gefummelt hat) – Françoise Hardy hat sich aufgelöst in ihrem Publikum und ist ein Teil all dieser Leben geworden. Kurios, wie lang ich dachte damit allein zu sein, ein kleiner Junge mit Pyjamahose, in schwarz/weiss. Wie alle anderen eben auch.

Im Januar wird sie 75. Ich muss mich langsam beeilen, wenn ich den Brief dazu noch fertig kriegen will, in fabulösem französisch, wenn es bitte geht. Wobei: natürlich kann sie auch deutsch, Frag den Abendwind in Radio-Dauerschleife, und schon waren alle Deutschen ebenfalls verliebt, auch wenn sie es mit einem  Schlager verwechselt haben, was dann wohl doch an der Sprache liegt.

Ach, im Grunde reichen auch vier Worte: Je vous remercie, Madame. Rendez-vous dans une autre vie!

 

AMERICANA

Es gibt Dinge, ohne die kein Mensch dauerhaft auskommt im Leben, dazu gehören vor allem immaterielle Werte wie der Klang des London Symphony Orchestra, aber auch der Geschmack einer Apfeltarte mit einem Hauch von Zimt oder, nur als Beispiel, Oralverkehr. Und wenn das Wetter mal mit dem seelischen Zustand im Einklang ist, zählt dazu dringend auch eine Portion amerikanischer Independent Folk- und Countrymusik, ab und zu jedenfalls. Dutzende Compilations gibt es dazu auf YouTube, ich darf schnell diese hier aus dem Sommer 2015 empfehlen.

Ein besonderer Spaß ist dabei, immer dann auf die Playlist zu gehen, wenn einem ein Stück besonders das Herz zerreisst und dabei, wie zur Bestätigung der eigenen Wahrnehmung, immer wieder auf die selben Namen zu stoßen, The Middle East zum Beispiel, Iron & Wine oder auch José González – Superstars, von denen ich noch nie etwas gehört habe, so gehts dem Rest des Landes wohl auch, ausgenommen die entsprechende Nerd-Szene, von der ich annehme, dass es eine gibt, die gibt‘s nämlich immer.

Woran aber liegt es, dass diese immer engelsgleichen Stimmen, die stets klingen, als habe sich erst gestern ein guter Freund auf den Weg ins Jenseits gemacht, dazu die endlos gezupften Gitarrensaiten, die vergeblich versuchen einen riesigen leeren Raum in der Mitte Amerikas zu vermessen, dass die einem also beim Hören so die Luft rauslassen können, und sich damit scheinbar mühelos in diese Unverzichtbarkeit schummeln?

Ich glaube, es sind wiederum immaterielle Dinge, die das so leuchten lassen: Die Landschaft, der Wind, der Geruch des Viehs auf der Weide. Der unbändige Durst, den schon ein Whiskey stillen könnte, einen aber verzweifeln lässt an dieser einsamen Landstraße. Die nach Regen riecht und an der noch nicht mal in der Ferne ein leuchtendes Bar-Schild zu sehen wäre, was der Erdkrümmung zu verdanken ist. (Das Cover, ein recht banales Abziehbild dieser Szene, erzählt davon.) Ein Leben lang wurde das alles inhaliert, um es im Studio wieder rauszusingen.

Alles in allem sind so Giganten entstanden, von Neil Young bis Fleet Foxes. Alle zu heiß gebadet im „Great American Songbook“, als Kinder in ein Fass mit flirrenden Melodien gefallen, fragwürdige Pilze gegessen, die eigene Cousine geschwängert, das schönste Fohlen eigenhändig zur Welt gebracht, was weiß ich. Die brauchen dann ein restliches Leben lang keinen Zaubertrank mehr. Was sie anfassen, wird Song. Das liegt auch am Wetter.

IM PAPIERKORB DER GESCHICHTE

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Keith Emerson, der Keyboarder von „Emerson, Lake and Palmer“, hat sich neulich in Santa Monica mit 71 eine Kugel in den Kopf geschossen. ELP ist eine längst vergessene Prog-Rock-Band, das ist die Kurzform von „Progressive Rock“, einer Musikrichtung, deren Ambition auch schon ihr schleichender Untergang war, nämlich durch Annäherung an Klassik und Jazz etwas vermeintlich Besseres zu sein als eine Rockband. Ein ebenso hilfloser wie vollkommen rätselhafter Wunsch, der zu grausamen Ergebnissen geführt hat, das weiß jeder der schon mal Jon Lord oder Rick Wakeman bei klarem Verstand gehört hat.

Der Beitrag von Emerson zur internationalen Hippie-Kultur ist glaube ich unbestritten, ich sage nur „ausufernde Keyboard-Soli“. Und jetzt kommt’s, zwei steile Thesen: Das Stück Lucky Man ist nicht nur schaurig-schön und offenbar ihr größter Erfolg gewesen, es zeigt ab Minute 3’23 auch etwas, das in den Neunzigern Folgen gehabt haben könnte, nämlich das lustbetonte Benutzen eines Synthesizers gegen die Betriebsanleitung, ein Verfahren, das zu den Geburtshelfern des Technos gehört. Emerson als Vater des Raves? Eher nicht, hier kommt These zwei: je mehr progressiver Hippie gewesen, desto schlimmerer Sack im Alter. Rick Wakeman, der als Keyboarder der Bands „Yes“ und „Asia“ gleich die doppelte Strafe absitzen müsste, hat 1977 persönlich bei der Plattenfirma eingegriffen, um zu verhindern, dass die „Sex Pistols“ unter Vertrag genommen werden. Doofheit in zwei Punkten: der Glaube, ein führendes Label würde sich außerhalb der zu erwartenden Umsätze tatsächlich für „Musik“ interessieren, und der Versuch, etwas Neues aufzuhalten, nur weil man es nicht versteht.

Leider schien Keith Emerson in ein ähnliches Horn zu blasen, Punks waren auch für ihn „Neandertaler“ und steter Quell der Verachtung, und einer der letzten Einträge in seinem Blog galt dem angeblichen Standesdünkel des BBC Rundfunk Orchesters, das es bei der Aufführung eines seiner Spätwerke geschafft hatte, den Meister zu verärgern, in dem es in bewundernswerter Indifferenz Ohrstöpsel benutzte, um die jaulenden Keyboard-Soli unbeschadet zu überstehen. Zwei von Ihnen verliessen offenbar auch die Bühne mitten im Stück. „Rock musicians don’t behave like this“, mault Emersons letzter Satz, und vielleicht ist das genau das Problem, lässt es doch schon die BBC-Streicher als vergleichsweise originelle Punker dastehen.

Direkt darüber steht auf der Homepage auch Emersons letztes Video, bei dem man lernen kann, dass ein alter Traum offenbar auch der sein kann, einmal im Leben beim Jubiläum des „hardest day“ (Luftschlacht um England) ein Kampfflugzeug namens Spitfire als Co-Pilot zu fliegen, aber gut: schlechter Geschmack ist natürlich Privatsache. Das Video ist, klar, mit seiner Musik unterlegt und ein schmerzhafter Beleg für siehe oben. „Warum will keiner mehr mein Brandenburgische-Konzerte-Lookalike-Georgel hören?“ schreit einem der Soundtrack förmlich entgegen, davor stampft militärisch ein Bolero à la Ravel vor sich hin.

Überhaupt scheint ein gemeinsames Merkmal dieser Herren (es gibt keine Frauen im Prog Rock) das schlechtgelaunte Herumsitzen in sehr großen englischen Landhäusern zu sein (ELP: 50 Mio. Alben in vier Jahren). Belege habe ich keine, aber Indizien: Tony Banks, neulich in dieser Genesis-Doku auf arte, wie er im permanenten Wechsel zwischen Verteidigung der eigenen Bedeutung und sichtbarer Geringschätzung des entspannt in der Runde sitzenden Peter Gabriel statt eines Kopfes nur noch eine große beleidigte Leberwurst auf den Schultern trug. Oder Roger Dean, mit seinen Harley-Airbrush-Fantasywelten so etwas wie der Chef-Grafiker des Prog Rock (siehe so ziemlich jedes „Yes“-Albumcover), der James Cameron erfolglos verklagte, weil dieser in „Avatar“ seinen Style geklaut habe (der mir eher von Bilal und Moebius inspiriert scheint). Oder, etwas off topic, „Led Zeppelin“s Jimmy Page, seinen Nachbarn Robbie Williams vor Gericht zerrend, weil der bei seinem Millionen-Villen-Neubau plötzlich in Jimmys‘ Millionen-Villen-Altbau gucken kann. Der gängige Schmäh-Begriff für das Genre lautet übrigens „Hobbit Rock“.

Der vorletzte Satz soll Jon Hunt vom L‘ Étoile Magazine gehören, dem einzigen Prog Rock Verfechter mit Humor und Selbstironie, der offenbar bis heute nicht müde wird, seine unmittelbare Umgebung mit dem Abspielen von Gentle-Giant-Doppelalben zu traktieren. Aber selbst bei ihm fällt zu „Emerson, Lake and Palmer“ nur ein wirklich markanter Satz: „Keith Emerson, as everybody knows, is a straight-up dick.“

Also, liebe Jugendliche: Finger weg von den Keyboards. Es sei denn, ihr macht damit so etwas.

 

AUTOS & KAFFEE

comedians_logo-1 Jerry Seinfeld sitzt mit dem Stand-Up-Genie Louis C.K. auf dessen kleiner Yacht vor der Küste Manhattans, die Sonne scheint, die Postproduktion hat eine hübsche Musik ausgesucht, und Louis erzählt was er am liebsten macht, wenn er völlig stoned ist: Ins Imax-3D-Kino gehen, vorausschauend bewehrt mit einer Weste, bei der er genau weiß, in welcher Tasche das im Netz vorbestellte und daheim ausgedruckte Ticket steckt, und wo der mitgebrachte Snack. Wohlwissend dass man in dem Zustand leicht wie ein Vollidiot aussieht, wenn man im Angesicht nüchternen Personals überall nach der Scheißeintrittskarte kramt. Oder sich gar in die Kassenschlange stellen muss, mit Leuten, die ihn jovial erkennen und ihm ein Gespräch ins Knie schrauben könnten. Und dann setzt er die 3D-Brille auf, und freut sich wie ein Kind auf den Imax-Countdown, bei dem einem die blauen Zahlen 3, 2, 1 direkt ins Gesicht fliegen. Da ist er ganz allein, ganz bei sich und vollkommen glücklich. Seinfeld lächelt entspannt und lässt ihn in Ruhe fertig erzählen.

Warum hat es bis zur dritten Staffel von comedians in cars getting coffee gedauert, bis ich diese ebenso liebevoll konstruierten wie ästhetisch hochklassigen Perlen entdecken durfte? Die vieles von dem haben, was man von einem dokumentarischen, aber trotzdem gestalteten Format erwarten darf, und manchmal auch alles davon. Und die entsprechend auch mal scheitern, aber das darf man dann selbst entdecken, denn man bekommt das Ergebnis trotzdem serviert. Die Länge der Episoden, zwischen 8 und 23 Minuten, gibt einem dabei nicht unbedingt einen Hinweis auf den zu erwartenden Unterhaltungs- und Erkenntniswert.

Die Idee ist, wie so oft bei guten Sendungen, völlig simpel, dabei nicht dringend neu: Jerry Seinfeld, Ex-Namensgeber der berühmtesten Sitcom der Welt, Frührentner, Multimillionär, Autofetischist und Porschesammler, sucht ein cooles Gefährt aus, holt damit einen Comedy-Kollegen ab und geht mit ihm oder ihr einen Kaffee trinken. Und dann schauen sie mal.

Die Sendungen sind ausschliesslich fürs Netz produziert, kein Senderredakteur quatscht rein, es gibt eine Plattform (Crackle) und einen Sponsor (Acura, ein Autohersteller), der immer wieder offensiv einbezogen und auf den Arm genommen wird („Wo ist unser Product Placement? Ich soll direkt daneben parken“).
Es sei mir verziehen, dass meine Freude sich auch aus der Tatsache speist, selbst von 2001 an drei Jahre lang ein verwandtes Format inszeniert und betextet zu haben, die WIB-Schaukel mit Wigald Boning. Einer durch Deutschland reisenden TV-Manufaktur gleich, haben wir in Kleinbus, Hubschrauber und gerne auch mal zu Fuß Woche für Woche mehr oder weniger prominente Zeitgenossen besucht und sie einen Tag lang mit zwei Kameras begleitet; die Freuden und Tücken solcher endlosen Kennenlern-Balladen sind mir bekannt.

Was dort wie hier der eigentliche Spaß ist: Auf dieser relativ langen Zeitstrecke die Mutationen des jeweiligen Gastes zu beobachten, wie da jemand also als Tiger springt und eventuell als Bettvorleger landet oder umgekehrt; wie da jemand durch Natürlichkeit, mit Melancholie oder Souveränität punktet (Carl Reiner und Mel Brooks, Michael Richards, David Letterman), oder schwer Dampf auf der Tube hat und den dringenden Wunsch nach einer Handvoll Ritalin weckt (Ricky Gervais, Jay Leno). Was alles bei Seinfelds Konzept dadurch verschärft wird, dass man es nunmal ausschliesslich mit professionellen Mega-Clowns zu tun hat, die meisten davon weltberühmt, oder zumindest weltberühmt in New York und Los Angeles.

Der hierzulande eher als Eddie-Murphy-hafter Schnellplapper-Provokateur wahrgenommene Chris Rock wird mit einem zeitlos schicken Lamborghini abgeholt („This is my Tony-Soprano-House!“) und stellt sich als fokussierter, hochgebildeter Schnelldenker heraus; der offenbar latent cholerische Alec Baldwin pfeffert soviel unsendbares Vokabular in die Luft, dass manche Sätze von gefühlt mehr „Beeps“ als verständlichen Wörtern erfüllt sind; Der über 90jährige Carl Reiner trifft sich seit Jahrzehnten mit seinem Kumpel Mel Brooks daheim im edlen Seniorenheim, um sich allabendlich einen Film reinzuziehen, was sogleich von Seinfeld überprüft wird (beim Betreten der Wohnung, die nächstbeste DVD grabschend: „Dances with Wolves – Oh, you’re catching up“). Das führt zu einem ganz und gar rührenden Abend, weil Mel Brooks tatsächlich noch auftaucht. Und erstmal recht umständlich nach einem Chicken Sandwich verlangt.

Aber sie können auch anders: Als Seinfeld seinen alten Sitcom-Partner Michael Richards (der stets unter Starkstrom stehende Cosmo Kramer) mit einem entzückend ausgewählten VW Bully aus den Sechzigern abholt, führt das Gespräch unweigerlich zu dessen persönlichem Waterloo – Richards hatte in einer Bühnenshow einen unzufriedenen schwarzen Zuschauer rassistisch beleidigt und seitdem keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen. Als sie das Lokal verlassen, sieht man die beiden noch aus der Entfernung miteinander weiterreden, zu hören ist lediglich Klaviermusik. Was noch zu besprechen ist, geht uns offenbar mal kurz nix an. Kleine Pause, großer Sport.

Seinfeld und seine Gäste sind bei all dem erfahren genug, um naheliegenden Fallen zu entgehen; sie tauschen nicht nur Spezialistenkram rund ums Comedygewerbe aus, versuchen aber andererseits auch nicht krampfhaft, kalkulierte Dosen privatistischer Überraschungen zu streuen, um den Mehrwert zu erhöhen. Wobei: Wenn sie’s doch tun, sieht man es nicht allzu deutlich oder es wird so unterhaltsam, dass mir jede möglicherweise bewusste Strategie entschuldbar scheint. Sarah Silverman, bekannt für ihre jüdisch geprägten Obszönitäten, laut ins Lokal rufend, als die Speisekarten nicht schnell genug auf dem Tisch liegen: „Who do we have to blow for menues?!“

Dabei bin ich nie ein großer Fan von Jerry Seinfeld gewesen; die Sidekicks seiner Sitcom haben mir immer besser gefallen als er selbst, seine Auslassungen über all die nervtötenden Phänomene des modernen Großstadtlebens fand ich zwar oft originell und nachvollziehbar, genauso oft aber auch penetrant und von einer mir eher unangenehmen Kleinkariertheit geprägt. Auch war oft kolportiert worden, diese stilprägenden Elemente seien eher seinem Produzenten Larry David zuzuschreiben, der ja in der Zwischenzeit mit „Curb your Enthusiasm“ seine eigene, ebenso stilprägende Show geschaffen hat. Aber hier muss man das Bild korrigieren: Seinfeld ist tatsächlich Seinfeld, auf einem Acker, der nach Improvisation verlangt und der kein Drehbuch kennt. Mag sein, dass er hier und da zu laut und zu oft mit und über sein Gegenüber lacht, gelegentlich auch nicht mehr so recht weiter weiß, wenn ihm der Gast weniger sagt, als er sich selbst im Vorfeld versprochen haben mag. Und mit Frauen, es sind derer nur zwei in den drei Staffeln, hat er es erkennbar nicht so.

Aber meistens verblüfft er durch Geistesgegenwart, verquere Gedankenblitze oder erfahren/weisen Einlassungen, die einen Mann erkennen lassen, der zwar stets extrem ehrgeizig war, aber es inzwischen ebenso schafft, den Quatsch der Welt und des Showbiz entspannt zu transzendieren, wenn es sich ergibt. Und wenn nicht, gab’s wenigstens einen guten Macchiato. Seinen Überlegungen, dass man die Rechnung doch lieber mit der Bestellung und nicht erst beim Verlassen des Lokals bekommen und begleichen sollte, weil man da noch voller Erwartungen und nicht voller bereits erfüllter Sehnsüchte ist, kann jeder beipflichten, der auch schon mal das Ausrechnen des Trinkgeldes bei einer überhöhten Rechnung als lästigen Schlusspunkt eines langen Abends erleben musste. Genauso freuen darf man sich aber auch über den harmlosen kleinen Pointenkäse, der zwischendurch angerührt wird (Kellnerin: „Please come again.“ Seinfeld: „We haven’t left yet.“)

So schickt er David Letterman, der als unrasierter, grau gewordener Wolf auftritt, kurzfristig auf die Bretter, in dem er seine Strategie der Zumutungsbewältigung erläutert: Sich einfach vor Augen zu führen, dass alle, die ihn nerven (inklusive seiner eigenen Familie), in spätestens 60 Jahren eh tot sind, also was soll’s? An anderer Stelle preist er dann aber auch die Freuden des Vaterseins, wer sonst als seine Kinder würde wohl fröhlich „come in!“ rufen, wenn sie nackig beim Pinkeln auf dem Klo sitzen?

Auch formal ist das alles ganz weit vorn dabei: Das Intro stellt mit exquisiten Einstellungen den jeweiligen Wagen vor, passend zum Gast, der damit abgeholt wird. Ein paar Worte zum Modell, den Schlüssel umgedreht und los geht’s. Unterwegs ist auch mal eine Kameradrohne im Einsatz, aber darauf holt man sich keinen runter, sind doch auch die kleinen digitalen GoPro-Kameras im Autoinneren immer deutlich erkennbar montiert. Dafür lassen einen die als Schnittfutter gedrehten Nahaufnahmen der Kaffeezubereitung sofort zur Espressomaschine rüberötteln, so gut sieht das aus. Als Louis C.K. eine extrem unterhaltsame, aber sehr zeitintensive Geschichte über die erste misslungene Bootsfahrt mit seinen Kindern vom Stapel lässt, wird diese kurzerhand mit einem preisverdächtigen Trickfilm illustriert; Und wenn es mit der Radiolegende Howard Stern, der die Kaffeesitzung zur Therapiestunde umdeutet, Schlag auf Schlag geht, wird auch mal auf saubere Schnitttechnik verzichtet und einfach hart auf hart montiert, als wäre man in einem Lars von Trier Film.

Kurzum, lieber Leser: das lohnt sich. Ein Tütchen gedreht, den Kopfhörer auf – go fuckin‘ see it, bzw. go „beeep“ see it!