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AUTOS & KAFFEE

comedians_logo-1 Jerry Seinfeld sitzt mit dem Stand-Up-Genie Louis C.K. auf dessen kleiner Yacht vor der Küste Manhattans, die Sonne scheint, die Postproduktion hat eine hübsche Musik ausgesucht, und Louis erzählt was er am liebsten macht, wenn er völlig stoned ist: Ins Imax-3D-Kino gehen, vorausschauend bewehrt mit einer Weste, bei der er genau weiß, in welcher Tasche das im Netz vorbestellte und daheim ausgedruckte Ticket steckt, und wo der mitgebrachte Snack. Wohlwissend dass man in dem Zustand leicht wie ein Vollidiot aussieht, wenn man im Angesicht nüchternen Personals überall nach der Scheißeintrittskarte kramt. Oder sich gar in die Kassenschlange stellen muss, mit Leuten, die ihn jovial erkennen und ihm ein Gespräch ins Knie schrauben könnten. Und dann setzt er die 3D-Brille auf, und freut sich wie ein Kind auf den Imax-Countdown, bei dem einem die blauen Zahlen 3, 2, 1 direkt ins Gesicht fliegen. Da ist er ganz allein, ganz bei sich und vollkommen glücklich. Seinfeld lächelt entspannt und lässt ihn in Ruhe fertig erzählen.

Warum hat es bis zur dritten Staffel von comedians in cars getting coffee gedauert, bis ich diese ebenso liebevoll konstruierten wie ästhetisch hochklassigen Perlen entdecken durfte? Die vieles von dem haben, was man von einem dokumentarischen, aber trotzdem gestalteten Format erwarten darf, und manchmal auch alles davon. Und die entsprechend auch mal scheitern, aber das darf man dann selbst entdecken, denn man bekommt das Ergebnis trotzdem serviert. Die Länge der Episoden, zwischen 8 und 23 Minuten, gibt einem dabei nicht unbedingt einen Hinweis auf den zu erwartenden Unterhaltungs- und Erkenntniswert.

Die Idee ist, wie so oft bei guten Sendungen, völlig simpel, dabei nicht dringend neu: Jerry Seinfeld, Ex-Namensgeber der berühmtesten Sitcom der Welt, Frührentner, Multimillionär, Autofetischist und Porschesammler, sucht ein cooles Gefährt aus, holt damit einen Comedy-Kollegen ab und geht mit ihm oder ihr einen Kaffee trinken. Und dann schauen sie mal.

Die Sendungen sind ausschliesslich fürs Netz produziert, kein Senderredakteur quatscht rein, es gibt eine Plattform (Crackle) und einen Sponsor (Acura, ein Autohersteller), der immer wieder offensiv einbezogen und auf den Arm genommen wird („Wo ist unser Product Placement? Ich soll direkt daneben parken“).
Es sei mir verziehen, dass meine Freude sich auch aus der Tatsache speist, selbst von 2001 an drei Jahre lang ein verwandtes Format inszeniert und betextet zu haben, die WIB-Schaukel mit Wigald Boning. Einer durch Deutschland reisenden TV-Manufaktur gleich, haben wir in Kleinbus, Hubschrauber und gerne auch mal zu Fuß Woche für Woche mehr oder weniger prominente Zeitgenossen besucht und sie einen Tag lang mit zwei Kameras begleitet; die Freuden und Tücken solcher endlosen Kennenlern-Balladen sind mir bekannt.

Was dort wie hier der eigentliche Spaß ist: Auf dieser relativ langen Zeitstrecke die Mutationen des jeweiligen Gastes zu beobachten, wie da jemand also als Tiger springt und eventuell als Bettvorleger landet oder umgekehrt; wie da jemand durch Natürlichkeit, mit Melancholie oder Souveränität punktet (Carl Reiner und Mel Brooks, Michael Richards, David Letterman), oder schwer Dampf auf der Tube hat und den dringenden Wunsch nach einer Handvoll Ritalin weckt (Ricky Gervais, Jay Leno). Was alles bei Seinfelds Konzept dadurch verschärft wird, dass man es nunmal ausschliesslich mit professionellen Mega-Clowns zu tun hat, die meisten davon weltberühmt, oder zumindest weltberühmt in New York und Los Angeles.

Der hierzulande eher als Eddie-Murphy-hafter Schnellplapper-Provokateur wahrgenommene Chris Rock wird mit einem zeitlos schicken Lamborghini abgeholt („This is my Tony-Soprano-House!“) und stellt sich als fokussierter, hochgebildeter Schnelldenker heraus; der offenbar latent cholerische Alec Baldwin pfeffert soviel unsendbares Vokabular in die Luft, dass manche Sätze von gefühlt mehr „Beeps“ als verständlichen Wörtern erfüllt sind; Der über 90jährige Carl Reiner trifft sich seit Jahrzehnten mit seinem Kumpel Mel Brooks daheim im edlen Seniorenheim, um sich allabendlich einen Film reinzuziehen, was sogleich von Seinfeld überprüft wird (beim Betreten der Wohnung, die nächstbeste DVD grabschend: „Dances with Wolves – Oh, you’re catching up“). Das führt zu einem ganz und gar rührenden Abend, weil Mel Brooks tatsächlich noch auftaucht. Und erstmal recht umständlich nach einem Chicken Sandwich verlangt.

Aber sie können auch anders: Als Seinfeld seinen alten Sitcom-Partner Michael Richards (der stets unter Starkstrom stehende Cosmo Kramer) mit einem entzückend ausgewählten VW Bully aus den Sechzigern abholt, führt das Gespräch unweigerlich zu dessen persönlichem Waterloo – Richards hatte in einer Bühnenshow einen unzufriedenen schwarzen Zuschauer rassistisch beleidigt und seitdem keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen. Als sie das Lokal verlassen, sieht man die beiden noch aus der Entfernung miteinander weiterreden, zu hören ist lediglich Klaviermusik. Was noch zu besprechen ist, geht uns offenbar mal kurz nix an. Kleine Pause, großer Sport.

Seinfeld und seine Gäste sind bei all dem erfahren genug, um naheliegenden Fallen zu entgehen; sie tauschen nicht nur Spezialistenkram rund ums Comedygewerbe aus, versuchen aber andererseits auch nicht krampfhaft, kalkulierte Dosen privatistischer Überraschungen zu streuen, um den Mehrwert zu erhöhen. Wobei: Wenn sie’s doch tun, sieht man es nicht allzu deutlich oder es wird so unterhaltsam, dass mir jede möglicherweise bewusste Strategie entschuldbar scheint. Sarah Silverman, bekannt für ihre jüdisch geprägten Obszönitäten, laut ins Lokal rufend, als die Speisekarten nicht schnell genug auf dem Tisch liegen: „Who do we have to blow for menues?!“

Dabei bin ich nie ein großer Fan von Jerry Seinfeld gewesen; die Sidekicks seiner Sitcom haben mir immer besser gefallen als er selbst, seine Auslassungen über all die nervtötenden Phänomene des modernen Großstadtlebens fand ich zwar oft originell und nachvollziehbar, genauso oft aber auch penetrant und von einer mir eher unangenehmen Kleinkariertheit geprägt. Auch war oft kolportiert worden, diese stilprägenden Elemente seien eher seinem Produzenten Larry David zuzuschreiben, der ja in der Zwischenzeit mit „Curb your Enthusiasm“ seine eigene, ebenso stilprägende Show geschaffen hat. Aber hier muss man das Bild korrigieren: Seinfeld ist tatsächlich Seinfeld, auf einem Acker, der nach Improvisation verlangt und der kein Drehbuch kennt. Mag sein, dass er hier und da zu laut und zu oft mit und über sein Gegenüber lacht, gelegentlich auch nicht mehr so recht weiter weiß, wenn ihm der Gast weniger sagt, als er sich selbst im Vorfeld versprochen haben mag. Und mit Frauen, es sind derer nur zwei in den drei Staffeln, hat er es erkennbar nicht so.

Aber meistens verblüfft er durch Geistesgegenwart, verquere Gedankenblitze oder erfahren/weisen Einlassungen, die einen Mann erkennen lassen, der zwar stets extrem ehrgeizig war, aber es inzwischen ebenso schafft, den Quatsch der Welt und des Showbiz entspannt zu transzendieren, wenn es sich ergibt. Und wenn nicht, gab’s wenigstens einen guten Macchiato. Seinen Überlegungen, dass man die Rechnung doch lieber mit der Bestellung und nicht erst beim Verlassen des Lokals bekommen und begleichen sollte, weil man da noch voller Erwartungen und nicht voller bereits erfüllter Sehnsüchte ist, kann jeder beipflichten, der auch schon mal das Ausrechnen des Trinkgeldes bei einer überhöhten Rechnung als lästigen Schlusspunkt eines langen Abends erleben musste. Genauso freuen darf man sich aber auch über den harmlosen kleinen Pointenkäse, der zwischendurch angerührt wird (Kellnerin: „Please come again.“ Seinfeld: „We haven’t left yet.“)

So schickt er David Letterman, der als unrasierter, grau gewordener Wolf auftritt, kurzfristig auf die Bretter, in dem er seine Strategie der Zumutungsbewältigung erläutert: Sich einfach vor Augen zu führen, dass alle, die ihn nerven (inklusive seiner eigenen Familie), in spätestens 60 Jahren eh tot sind, also was soll’s? An anderer Stelle preist er dann aber auch die Freuden des Vaterseins, wer sonst als seine Kinder würde wohl fröhlich „come in!“ rufen, wenn sie nackig beim Pinkeln auf dem Klo sitzen?

Auch formal ist das alles ganz weit vorn dabei: Das Intro stellt mit exquisiten Einstellungen den jeweiligen Wagen vor, passend zum Gast, der damit abgeholt wird. Ein paar Worte zum Modell, den Schlüssel umgedreht und los geht’s. Unterwegs ist auch mal eine Kameradrohne im Einsatz, aber darauf holt man sich keinen runter, sind doch auch die kleinen digitalen GoPro-Kameras im Autoinneren immer deutlich erkennbar montiert. Dafür lassen einen die als Schnittfutter gedrehten Nahaufnahmen der Kaffeezubereitung sofort zur Espressomaschine rüberötteln, so gut sieht das aus. Als Louis C.K. eine extrem unterhaltsame, aber sehr zeitintensive Geschichte über die erste misslungene Bootsfahrt mit seinen Kindern vom Stapel lässt, wird diese kurzerhand mit einem preisverdächtigen Trickfilm illustriert; Und wenn es mit der Radiolegende Howard Stern, der die Kaffeesitzung zur Therapiestunde umdeutet, Schlag auf Schlag geht, wird auch mal auf saubere Schnitttechnik verzichtet und einfach hart auf hart montiert, als wäre man in einem Lars von Trier Film.

Kurzum, lieber Leser: das lohnt sich. Ein Tütchen gedreht, den Kopfhörer auf – go fuckin‘ see it, bzw. go „beeep“ see it!