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Archiv für den Monat: August 2019

OFFICE CHART SOMMER

Was wir diesen Monat im Büro hören

Elliott Smith — Heaven adores you Soundtrack

Morbide Kinderspiele: alle Möglichkeiten aufzulisten, mit denen ein Mensch wohl Selbstmord begehen könnte. Einen Bauchgürtel in die Luft jagen, bestückt mit einer Jahresproduktion an Silvesterknallern? Großes Gelächter. Vom obersten Stock des Hauses direkt in einen Swimmingpool voller Todesquallen springen? Na klar, geht. Eine der Möglichkeiten war dabei immer ausgeschlossen – sich selbst zu erstechen, das schien kaum möglich. Kein Mensch würde je sowas schaffen, da waren sich alle einig. Es flog aus der Liste.

Der Zufall, diesmal in Form eines Tippfehlers, hat mir vor zwei Wochen Elliott Smith aus den mittleren Tiefen der Festplatte zurück ins Büro gespült und dann nicht mehr aus der Tür gelassen. Heaven adores you ist der Soundtrack zu einem Dokumentarfilm über Smith, der Teil des Albums, den ich damals heruntergeladen hatte, ist gerade mal 16 Minuten lang, kannte nur fünf Stücke, von denen vier sogar ohne Gesang ausgekommen sind (komplett ist es eine Stunde länger). Keines der Stücke ähnelt den Liedern, für die Smith zunächst eine kleine, innig liebende Gemeinde (Portland/Oregon), später eine sehr viel größere hinter sich versammeln konnte (Brooklyn/Los Angeles/und damit überall).

Kein Needle in the Hay, das Johnny Depp einen ganzen Spielfilm-Dreh lang im Kopf herumgeisterte, wie er mal auf der Bühne erzählte; kein Between the Bars, von dem Madonna in einem Interview sagte, sie träume manchmal, sie hätte es selbst geschrieben; keine Miss Misery, die im Abspann von „Good Will Hunting“ zu hören war, was dem Lied eine Oscar-Nominierung und dem depressiv-multitoxomanen Interpreten einen Live-Auftritt bei der Verleihung bescherte, den er sogar unfallfrei und im Stehen über die Bühne brachte.

Dafür bekommt man hier Fragmente und Demos, die so klingen als wären sie am Lagerfeuer improvisiert (oder zumindest in einer Lagerhalle an einem Feuer) – eine Gitarrenübung, Untitled Guitar Finger Picking, wie ersonnen von einem begabten Musikschüler, zwei instrumentale Etüden, einen von mehreren Walzern (Waltz #1), in der längeren Version auch ein paar unveröffentlichte Live-Auftritte. Das klingt trotz einer fast kindlichen Leichtigkeit als wären diese Stücke schon bei der Entstehung direkt in Beton gegossen worden – mit großen Luftblasen darin, an denen aber auch sein Blut klebt.

Im Oktober 2003 hat sich Elliott Smith selbst erstochen, zweimal hintereinander sogar. Die Polizei konnte das auch nicht glauben und untersuchte den Fall, man einigte sich später auf die Todesursache „nicht feststellbar“, damit ist es bis heute kein Suizid. Aber wie jeder Tatortreiniger weiß, bleibt nach der Entfernung der Blutlache immer noch ein Schatten auf dem hellen Teppich zurück, und damit auch über Elliott Smith‘ Musik, die davon allerdings nichts weiß und deshalb auch weiterhin gut mit diesem Schatten wird weiterleben können.

Außerdem läuft:

Trettmann – Intro

Wanda – Ciao Baby

Lana Del Rey – Doin‘ Time

Jan Blomqvist – Synth for the Devil

Bilderbuch – Mein Herz bricht

Frittenbude – Die Dunkelheit darf niemals siegen (feat. Jörkk Mechenbier)

Die Höchste Eisenbahn – Kinder der Angst

Apparat – Heroist

Coma – Sum

Sufjan Stevens – Chicago

Talking Heads – This must be the Place (Naive Melody) (2005 Remaster)

Nico – The Fairest of the Seasons

The Black Dog – Ghost Vexations

Benjamin Biolay – Des lendemains qui chantent

Roman Flügel – 9 Years (DJ Koze Remix)

Sensorama – Harz (Born Under A Rhyming Planet Remix)

Elliott Smith – Angeles

Die Links führen in der Regel zu sehenswerten Videos auf vimeo oder youtube und gehen in einem neuen Fenster auf.