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Archiv für den Monat: März 2014

OFFICE CHART MÄRZ

Was wir diesen Monat im Büro hören

Close to the Glass
The Notwist – Close to the Glass

Dass alles gerne so bleiben kann, wie es immer war, ist eine eher seltene Sehnsucht hier im Büro. Aber wenn nach Jahren ein neues Notwist-Album erscheint, dann flirrt die Aufmerksamkeit an zwei entgegengesetzten Polen gleichzeitig: Man wünscht sich ein Weisen in zwei Richtungen, in die Vergangenheit einerseits, weil praktisch alle bisherigen Alben zu geliebten Gefährten vieler Leute geworden sind, die selbst geliebte Gefährten sind. Und in die Zukunft, weil diese Alben natürlich auch genau das leisten mussten, um den beschriebenen Status zu erreichen. Wie mühelos das dem Musikkollektiv wieder gelingt, ist ebenso euphorisierend wie frustrierend. Erinnert einen die Band doch daran, dass es sehr wohl stets möglich war, ein interessantes Leben zu führen, das zu solchen Ergebnissen führt, ohne vermeidbare Kompromisse, immer im Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten. Damit erinnert sie aber auch schmerzlich an eigene Versäumnisse und Fehlentscheidungen – nicht jeder kann mit seinen Talenten auf so unspektakuläre Weise klassisch und modern zugleich reüssieren, wie dieses Album. Gerade erst erschienen, wirkt Close to the Glass bereits wie eine Erinnerung aus fernen, schönen Tagen. im Englischen gibt es dafür einen prägnanten Begriff: Instant Classic.

Außerdem:

Rain Dog – Nerves Like New Thread

Daedelus – A Mashnote

Eno Hyde – The Satellites

Underworld – De Lacey Cottage Guitar

Laurel Halo – Something I never had (Lindsay Lohan Cover)

Laurel Halo – Thaw

Karl Hyde – Cut Clouds

Oneohtrix Point Never – Boring Angel

Bibio – Down to the Sound

Metronomy – I’m Aquarius

Die Links führen in der Regel zu sehenswerten Videos auf vimeo oder youtube und gehen in einem neuen Fenster auf.

 

CONTAINER 2014: FEBRUAR

In den Container wandern die kleinen Begeisterungen des laufenden Monats

Die Halbblut-Orange – unterdrückte Minderheit unter den Zitrusfrüchten!

Halbblut-Orange

 

 

 

 

 

 

 

 

Michael Bays Viewfinder
Michael_Bay_Viewfinder Ein Viewfinder ist dieses fernrohrartige Teil, mit dem Regisseure den Bildausschnitt vorab beurteilen und bestimmen können, und durch das sie auf Fotos gerne mit wichtiger Miene hindurchblicken, was meistens albern aussieht, weil man dabei offenbar automatisch die Mundwinkel debil verschieft – scheint eine physiologische Notwendigkeit zu sein. Michael Bay wiederum ist, je nach Sichtweise, der größte Angeber des testosterongesteuerten Actionkitsches, oder „the best eye for multiple levels of pure visual adrenaline“, so Steven Spielberg. Wie auch immer: sein Viewfinder ist so fett wie geil – Panavision hat ihm alle seine Filmtitel eingravieren lassen und schenkt ihm zu jedem Projekt ein neues Exemplar (viel Platz ist nicht mehr, siehe Klick aufs Foto). Würde ich ihm damit folgen, würde es schnell albern werden: mit Gravuren wie „Die Schöneberger Show“ oder gar „Cindy und die jungen Wilden“ bräuchte ich gar nicht erst mit zusammengekniffenen Augen das berohrte Gesicht debil in Falten zu legen, um dennoch wie ein Trottel auszusehen.

Steven Soderberghs Psychos
psychos Schnell anschauen, es ist schwer vorstellbar, dass Steven Soderbergh alle nötigen Rechte hat, um das länger im Netz zu lassen, denn dass er es damit nicht allzu genau nimmt, deutet sich schon auf seiner etwas vertüddelten Sachen-verklopp-Seite extension765 an: Dort hat er, aus welchem Grund ist nicht ganz ersichtlich, die beiden Psycho-Versionen von Hitchcock und Gus Van Sant gegeneinander geschnitten, bzw. mit- und ineinander. Das Ergebnis ist erst irritierend, dann etwas geschmäcklerisch, schliesslich eine verblüffende Filmmeditation.

Das Coldplay Video von Mary Wigmore
Coldplay_Midnight Die schwerverdauliche Sauce, die diese Band zuletzt produziert hat, hält mich nicht davon ab, dieses sehr gelungene, weil so einfache Video zum neuen Stück Midnight zu empfehlen. Die Dokumentarfilmerin Mary Wigmore hat es gedreht, mit simplen Bildpositiv- und Nachtsichteffekten, mit Zeitraffern und -lupen in den Wäldern über Beverly Hills, und ein Wolf kommt auch drin vor. Die Musik hat diese unspektakuläre skandinavische Kühle, wie man sie von Trentemøller oder Erlend Øye kennt, was auf ein möglicherweise wieder erträgliches neues Album schliessen lässt.

Die Bitch unter den Frühlingsboten:
FrühlingsbitchKaum scheint die Sonne, schiesst sie nackig aus dem Boden und zeigt uns ihre Glocken. Alte Schlampe!

 

 

 

 

 

 

Jetzt neu: Straßenmusiker mit Twitter-Account und FacebookseiteStrassenmusiker
Wollen die jetzt auch eine Gefolgschaft mobilisieren, die über die kurze, gern auch willkommene Atempause hinausgeht, für die Strassenmusik doch offensichtlich erfunden wurde, jedenfalls wenn sie halbwegs etwas taugt? Call me oldfashioned, aber die Qualität der Darbietung hallt nunmal selten über den Moment hinaus, für den sie geschaffen wurde. Der Tatsache aber, dass sie durch die Lupe eines sozialen Mediums gewissermassen in die Ewigkeit verlängert werden soll, haftet etwas Verzweifeltes an, und dass mich dieser Gedanke drei Minuten lang beschäftigt hat, reicht, um in den Container aufgenommen zu werden. In dem ja eigentlich nur die kleinen Begeisterungen Platz haben. Dieser Hajek spielt übrigens ein ganz okayes Akkordeon, zumindest wenn man Schifferklaviere mag. Was ich nicht tue, es sei denn ein Kind sitzt am Steuer.

Thomas Frickels Mondverschwörung
mondverschwoerung
Solltet ihr gerade ratlos in eurem Wohnzimmer stehen und feststellen, dass ihr exakt 1 Stunde und 26 Minuten Langeweile vor euch habt, kommt hier eine glasklare Empfehlung, diese mit großem Gewinn zu vertreiben: die haarsträubende Doku „Mondverschwörung“ von Thomas Frickel mit dem Reporter Dennis Mascarenas in der Rolle eines Michael Moores, der deutsch kann, beleuchtet die Esoterikszene rund um die Anbetung und angebliche Besitznahme des Mondes. Die Gestalten, die da auftreten, sind erst kaum zu fassen und werden dann, in ihrer rechten Ausprägung, schliesslich richtig gruselig. Der Film ist für eine begrenzte Zeit kostenlos auf Spiegel TV zu sehen. Gelegentlich gibt es eine Werbeunterbrechung, aber die 19 Sekunden kann man für das Entkorken einer neuen Flasche nutzen.

 

AUTOS & KAFFEE

comedians_logo-1 Jerry Seinfeld sitzt mit dem Stand-Up-Genie Louis C.K. auf dessen kleiner Yacht vor der Küste Manhattans, die Sonne scheint, die Postproduktion hat eine hübsche Musik ausgesucht, und Louis erzählt was er am liebsten macht, wenn er völlig stoned ist: Ins Imax-3D-Kino gehen, vorausschauend bewehrt mit einer Weste, bei der er genau weiß, in welcher Tasche das im Netz vorbestellte und daheim ausgedruckte Ticket steckt, und wo der mitgebrachte Snack. Wohlwissend dass man in dem Zustand leicht wie ein Vollidiot aussieht, wenn man im Angesicht nüchternen Personals überall nach der Scheißeintrittskarte kramt. Oder sich gar in die Kassenschlange stellen muss, mit Leuten, die ihn jovial erkennen und ihm ein Gespräch ins Knie schrauben könnten. Und dann setzt er die 3D-Brille auf, und freut sich wie ein Kind auf den Imax-Countdown, bei dem einem die blauen Zahlen 3, 2, 1 direkt ins Gesicht fliegen. Da ist er ganz allein, ganz bei sich und vollkommen glücklich. Seinfeld lächelt entspannt und lässt ihn in Ruhe fertig erzählen.

Warum hat es bis zur dritten Staffel von comedians in cars getting coffee gedauert, bis ich diese ebenso liebevoll konstruierten wie ästhetisch hochklassigen Perlen entdecken durfte? Die vieles von dem haben, was man von einem dokumentarischen, aber trotzdem gestalteten Format erwarten darf, und manchmal auch alles davon. Und die entsprechend auch mal scheitern, aber das darf man dann selbst entdecken, denn man bekommt das Ergebnis trotzdem serviert. Die Länge der Episoden, zwischen 8 und 23 Minuten, gibt einem dabei nicht unbedingt einen Hinweis auf den zu erwartenden Unterhaltungs- und Erkenntniswert.

Die Idee ist, wie so oft bei guten Sendungen, völlig simpel, dabei nicht dringend neu: Jerry Seinfeld, Ex-Namensgeber der berühmtesten Sitcom der Welt, Frührentner, Multimillionär, Autofetischist und Porschesammler, sucht ein cooles Gefährt aus, holt damit einen Comedy-Kollegen ab und geht mit ihm oder ihr einen Kaffee trinken. Und dann schauen sie mal.

Die Sendungen sind ausschliesslich fürs Netz produziert, kein Senderredakteur quatscht rein, es gibt eine Plattform (Crackle) und einen Sponsor (Acura, ein Autohersteller), der immer wieder offensiv einbezogen und auf den Arm genommen wird („Wo ist unser Product Placement? Ich soll direkt daneben parken“).
Es sei mir verziehen, dass meine Freude sich auch aus der Tatsache speist, selbst von 2001 an drei Jahre lang ein verwandtes Format inszeniert und betextet zu haben, die WIB-Schaukel mit Wigald Boning. Einer durch Deutschland reisenden TV-Manufaktur gleich, haben wir in Kleinbus, Hubschrauber und gerne auch mal zu Fuß Woche für Woche mehr oder weniger prominente Zeitgenossen besucht und sie einen Tag lang mit zwei Kameras begleitet; die Freuden und Tücken solcher endlosen Kennenlern-Balladen sind mir bekannt.

Was dort wie hier der eigentliche Spaß ist: Auf dieser relativ langen Zeitstrecke die Mutationen des jeweiligen Gastes zu beobachten, wie da jemand also als Tiger springt und eventuell als Bettvorleger landet oder umgekehrt; wie da jemand durch Natürlichkeit, mit Melancholie oder Souveränität punktet (Carl Reiner und Mel Brooks, Michael Richards, David Letterman), oder schwer Dampf auf der Tube hat und den dringenden Wunsch nach einer Handvoll Ritalin weckt (Ricky Gervais, Jay Leno). Was alles bei Seinfelds Konzept dadurch verschärft wird, dass man es nunmal ausschliesslich mit professionellen Mega-Clowns zu tun hat, die meisten davon weltberühmt, oder zumindest weltberühmt in New York und Los Angeles.

Der hierzulande eher als Eddie-Murphy-hafter Schnellplapper-Provokateur wahrgenommene Chris Rock wird mit einem zeitlos schicken Lamborghini abgeholt („This is my Tony-Soprano-House!“) und stellt sich als fokussierter, hochgebildeter Schnelldenker heraus; der offenbar latent cholerische Alec Baldwin pfeffert soviel unsendbares Vokabular in die Luft, dass manche Sätze von gefühlt mehr „Beeps“ als verständlichen Wörtern erfüllt sind; Der über 90jährige Carl Reiner trifft sich seit Jahrzehnten mit seinem Kumpel Mel Brooks daheim im edlen Seniorenheim, um sich allabendlich einen Film reinzuziehen, was sogleich von Seinfeld überprüft wird (beim Betreten der Wohnung, die nächstbeste DVD grabschend: „Dances with Wolves – Oh, you’re catching up“). Das führt zu einem ganz und gar rührenden Abend, weil Mel Brooks tatsächlich noch auftaucht. Und erstmal recht umständlich nach einem Chicken Sandwich verlangt.

Aber sie können auch anders: Als Seinfeld seinen alten Sitcom-Partner Michael Richards (der stets unter Starkstrom stehende Cosmo Kramer) mit einem entzückend ausgewählten VW Bully aus den Sechzigern abholt, führt das Gespräch unweigerlich zu dessen persönlichem Waterloo – Richards hatte in einer Bühnenshow einen unzufriedenen schwarzen Zuschauer rassistisch beleidigt und seitdem keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen. Als sie das Lokal verlassen, sieht man die beiden noch aus der Entfernung miteinander weiterreden, zu hören ist lediglich Klaviermusik. Was noch zu besprechen ist, geht uns offenbar mal kurz nix an. Kleine Pause, großer Sport.

Seinfeld und seine Gäste sind bei all dem erfahren genug, um naheliegenden Fallen zu entgehen; sie tauschen nicht nur Spezialistenkram rund ums Comedygewerbe aus, versuchen aber andererseits auch nicht krampfhaft, kalkulierte Dosen privatistischer Überraschungen zu streuen, um den Mehrwert zu erhöhen. Wobei: Wenn sie’s doch tun, sieht man es nicht allzu deutlich oder es wird so unterhaltsam, dass mir jede möglicherweise bewusste Strategie entschuldbar scheint. Sarah Silverman, bekannt für ihre jüdisch geprägten Obszönitäten, laut ins Lokal rufend, als die Speisekarten nicht schnell genug auf dem Tisch liegen: „Who do we have to blow for menues?!“

Dabei bin ich nie ein großer Fan von Jerry Seinfeld gewesen; die Sidekicks seiner Sitcom haben mir immer besser gefallen als er selbst, seine Auslassungen über all die nervtötenden Phänomene des modernen Großstadtlebens fand ich zwar oft originell und nachvollziehbar, genauso oft aber auch penetrant und von einer mir eher unangenehmen Kleinkariertheit geprägt. Auch war oft kolportiert worden, diese stilprägenden Elemente seien eher seinem Produzenten Larry David zuzuschreiben, der ja in der Zwischenzeit mit „Curb your Enthusiasm“ seine eigene, ebenso stilprägende Show geschaffen hat. Aber hier muss man das Bild korrigieren: Seinfeld ist tatsächlich Seinfeld, auf einem Acker, der nach Improvisation verlangt und der kein Drehbuch kennt. Mag sein, dass er hier und da zu laut und zu oft mit und über sein Gegenüber lacht, gelegentlich auch nicht mehr so recht weiter weiß, wenn ihm der Gast weniger sagt, als er sich selbst im Vorfeld versprochen haben mag. Und mit Frauen, es sind derer nur zwei in den drei Staffeln, hat er es erkennbar nicht so.

Aber meistens verblüfft er durch Geistesgegenwart, verquere Gedankenblitze oder erfahren/weisen Einlassungen, die einen Mann erkennen lassen, der zwar stets extrem ehrgeizig war, aber es inzwischen ebenso schafft, den Quatsch der Welt und des Showbiz entspannt zu transzendieren, wenn es sich ergibt. Und wenn nicht, gab’s wenigstens einen guten Macchiato. Seinen Überlegungen, dass man die Rechnung doch lieber mit der Bestellung und nicht erst beim Verlassen des Lokals bekommen und begleichen sollte, weil man da noch voller Erwartungen und nicht voller bereits erfüllter Sehnsüchte ist, kann jeder beipflichten, der auch schon mal das Ausrechnen des Trinkgeldes bei einer überhöhten Rechnung als lästigen Schlusspunkt eines langen Abends erleben musste. Genauso freuen darf man sich aber auch über den harmlosen kleinen Pointenkäse, der zwischendurch angerührt wird (Kellnerin: „Please come again.“ Seinfeld: „We haven’t left yet.“)

So schickt er David Letterman, der als unrasierter, grau gewordener Wolf auftritt, kurzfristig auf die Bretter, in dem er seine Strategie der Zumutungsbewältigung erläutert: Sich einfach vor Augen zu führen, dass alle, die ihn nerven (inklusive seiner eigenen Familie), in spätestens 60 Jahren eh tot sind, also was soll’s? An anderer Stelle preist er dann aber auch die Freuden des Vaterseins, wer sonst als seine Kinder würde wohl fröhlich „come in!“ rufen, wenn sie nackig beim Pinkeln auf dem Klo sitzen?

Auch formal ist das alles ganz weit vorn dabei: Das Intro stellt mit exquisiten Einstellungen den jeweiligen Wagen vor, passend zum Gast, der damit abgeholt wird. Ein paar Worte zum Modell, den Schlüssel umgedreht und los geht’s. Unterwegs ist auch mal eine Kameradrohne im Einsatz, aber darauf holt man sich keinen runter, sind doch auch die kleinen digitalen GoPro-Kameras im Autoinneren immer deutlich erkennbar montiert. Dafür lassen einen die als Schnittfutter gedrehten Nahaufnahmen der Kaffeezubereitung sofort zur Espressomaschine rüberötteln, so gut sieht das aus. Als Louis C.K. eine extrem unterhaltsame, aber sehr zeitintensive Geschichte über die erste misslungene Bootsfahrt mit seinen Kindern vom Stapel lässt, wird diese kurzerhand mit einem preisverdächtigen Trickfilm illustriert; Und wenn es mit der Radiolegende Howard Stern, der die Kaffeesitzung zur Therapiestunde umdeutet, Schlag auf Schlag geht, wird auch mal auf saubere Schnitttechnik verzichtet und einfach hart auf hart montiert, als wäre man in einem Lars von Trier Film.

Kurzum, lieber Leser: das lohnt sich. Ein Tütchen gedreht, den Kopfhörer auf – go fuckin‘ see it, bzw. go „beeep“ see it!