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FRANÇOISE ET MOI

Der Junge, das bin ich. Er sitzt vor einem Fernseher, schwarz/weiß wie der ganze Clip, nur bekleidet mit einer Pyjamahose, und er bewundert im Halbdunkel diese enigmatische Sängerin, die auf dem Bildschirm mal als junges Mädchen, dann als ältere, aber nicht gealterte Frau erscheint. Er schläft auf ihren alten Fotos, sie nimmt ihn an der Hand, wie stets im schwarzen Smoking von Yves Saint Laurent, und erzählt davon dass keine Träne ihr die Luft wird nehmen können und alles gut werden wird, wenn sie das Weite suchen und einfach davonsegeln wird, quand je prendrais le Large. François Ozon hat das inszeniert, und Le Large, ein weiteres erratisches Lied, ist die vorläufig letzte Single von Françoise Hardy, der mysteriösesten, entrücktesten Legende des französischen Chanson. Es stammt aus dem Frühsommer diesen Jahres, und der Junge im Video, das bin eigentlich ich, wie gesagt.

Françoise Hardy hat alles verzaubert, was in meiner späten Kindheit oder frühen Jugend in der Pariser Banlieu mit Hilfe einer Tonspur hätte verzaubert und damit erhöht werden können – Soundtrack of my life. Mit einer Stimme wie ein Zauberstab, und einer Erscheinung wie diese älteren Mädchen auf dem Pausenhof sie nunmal hatten, deren unfassbar langen Beine einen nur ganz kurz von dem Gesicht mit den traurigen Augen ablenken konnten, in denen man amouröses Unglück vermuten durfte, aber was hätte man schon machen können? Mit zehn Jahren die schwachen Muskeln spielen lassen, um als imaginierter großer Bruder bei solchen Fabelwesen die eigenen Chancen zu erhöhen? (Welche genau, außer Eindruck machen, und sich selbst dabei lächerlich? – sie hätte es wohl niedlich gefunden, höchstens.)

Ihr erstes Lied schrieb sie noch vor meiner Geburt, und schon in Tous les garçons et les filles war sie kein Teil der restlichen Welt, in der Jungen und Mädchen Hand in Hand und Auge in Auge Pläne für die Zukunft hatten, während sie selbst mit beschädigter Seele allein in den Strassen wie ein geprügelter Hund lief, keinen an ihrer Seite, der ihr „Je t’aime“ ins Ohr hätte hauchen können. Es kann auch ein Fluch sein, so schön zu singen und zu sein. (Wie gesagt, ich war noch nicht geboren worden. Ich hätte es sonst womöglich versucht.)

Tombé du ciel sei Personne d’autre, das neue Album, vom Himmel gefallen, das sagt sie selbst, und genauso fiel es auch in meinen Schoß, durch einen Zufall. Der letzte Kontakt war 2006 Parenthèses, ein Album ausschliesslich mit Duetten an der Seite von Kollegen und Schauspielern, das im Büro und im Auto in Dauerschleife lief. Sie wollte dann keine Musik mehr machen, nach schwerer Krankheit und auch sonst nicht, und lieber ihre Bücher schreiben. Ich habe sie aus den Augen verloren, für viele Jahre.

Aber dann waren die Lieder eben da, wurden mehr und mussten raus. Daraus ist ein so scharf geschliffenes Juwel geworden, dass man es nur mit Handschuhen anfassen sollte; Melodien wurden ihr geschenkt, und wenn diese sie ausreichend verfolgt haben, hat sie einen ihrer so sprachverspielten Texte dazu geschrieben. Mit der Ausnahme von You’re my home, da gab es den Titel schon, und auch den Text, den sie so schön und unübersetzbar fand, dass sie zum ersten Mal seit Jahren auf englisch gesungen hat (das andere Lied ist hier). Was fast noch bezaubernder ist als auf französisch.

Der Trick ist die Scheu. Die Zurückhaltung, die Diskretion, der Abstand. Nicht mit der Tür ins Haus zu fallen (weshalb da immer eine Tür bleiben wird). Françoise Hardy zu duzen verbietet sich quasi von selbst, vor großem Publikum ist sie seit 1968 nicht mehr aufgetreten, Grund ist ihr legendäres, scheinbar unüberwindbares Lampenfieber. Dagegen der ganze YéYé-Schrott aus dieser Zeit, früher war nämlich auch schon nicht alles besser: Eine Brigitte Bardot, die sich mit Duckface-Lippen halbnackt auf der Harley räkelt und Zeilen von sich gibt, die schon vergessen sind bevor das Echo verklungen ist. (Aber die ist ja auch der Meinung, dass man streunende Hunde retten soll, Ausländer dagegen nicht.)

Oder, mit Blick auf die eigenen, seltsam kalt gewordenen Füße: eine Helene Fischer, mit ihren perfiden, verlogenen Durchhalte-Parolen, die sich an die Mutlosen richten, die nie für die Liebe etwas riskiert haben und sich nun den billigen Trost von PR-Profis abholen, angetreten um sich auf dem Rücken dieser traurig alltagszermürbten Zombies die Taschen vollzumachen. Hier soll man sich’s bequem machen in einem selbstgebauten Gefängnis, statt den Schlüssel zur Flucht zu suchen oder besser gleich die Abrissbirne. Schlager kommt offenbar doch von schlagen; Chanson erzählt was anderes: von Liebe und vom Gestern, vom Tod aber nicht vom Teufel.

Madame Hardy hingegen: von der Plattenfirma gebeten, die etwas flache Brust mit Stoff oder Papier auszustopfen, um mehr Sex in die Chose zu bringen: abgelehnt und fertig. Inspiré, pas fabriqué, wollte sie es haben, bis auf wenige Kompromisse in jungen Jahren ist sie auch dabei geblieben. Die Texte, mit einer seltsamen Fülle an Todessehnsucht: wenn von Abschied die Rede ist, gibt man sich nicht die Hand und au revoir, sondern wacht zum letzten Mal an einem anderen Ufer, ohne dass es einen Morgen geben wird, sans pouvoir te dire „a demain“. Rosen, die sterben, Fahrten ohne Wiederkehr, der Staub, der wir Morgen schon sein werden. Poésie? Mais oui.

Und dann ein solches Meisterwerk wie Tant de belle choses, eine der schillernsten Perlen des französischen Liedes, die mit Zartheit und Wahrhaftigkeit um Jahrhunderte alles überdauern wird, was die hässlichen Fratzen der französischen Realität alternativ gerade so zu bieten haben – fick Dich hart weg, Marine Le Pen! L‘Amour est plus fort que la mort.

Jahrzehnte später wird sie immer noch kultisch verehrt von Millionen Franzosen, die ihre gesamte Liebesbiografie als Abfolge ihrer Lieder begreifen und sich zu hunderten nostalgisch, sehr privat oder auch gleich mit fliessenden Tränen in den YouTube Kommentaren verewigen, als wäre es ein Kondolenzbuch. Alle erzählen von Toten, die unvergessen, und Zeiten, die unwiederbringlich sind. Und alle halten sich fest an ihren eigenen Ikonen, von Mon amie la rose bis Message Personnel (zu dem offenbar halb Frankreich das erste Mal gefummelt hat) – Françoise Hardy hat sich aufgelöst in ihrem Publikum und ist ein Teil all dieser Leben geworden. Kurios, wie lang ich dachte damit allein zu sein, ein kleiner Junge mit Pyjamahose, in schwarz/weiss. Wie alle anderen eben auch.

Im Januar wird sie 75. Ich muss mich langsam beeilen, wenn ich den Brief dazu noch fertig kriegen will, in fabulösem französisch, wenn es bitte geht. Wobei: natürlich kann sie auch deutsch, Frag den Abendwind in Radio-Dauerschleife, und schon waren alle Deutschen ebenfalls verliebt, auch wenn sie es mit einem  Schlager verwechselt haben, was dann wohl doch an der Sprache liegt.

Ach, im Grunde reichen auch vier Worte: Je vous remercie, Madame. Rendez-vous dans une autre vie!

 

AMERICANA

Es gibt Dinge, ohne die kein Mensch dauerhaft auskommt im Leben, dazu gehören vor allem immaterielle Werte wie der Klang des London Symphony Orchestra, aber auch der Geschmack einer Apfeltarte mit einem Hauch von Zimt oder, nur als Beispiel, Oralverkehr. Und wenn das Wetter mal mit dem seelischen Zustand im Einklang ist, zählt dazu dringend auch eine Portion amerikanischer Independent Folk- und Countrymusik, ab und zu jedenfalls. Dutzende Compilations gibt es dazu auf YouTube, ich darf schnell diese hier aus dem Sommer 2015 empfehlen.

Ein besonderer Spaß ist dabei, immer dann auf die Playlist zu gehen, wenn einem ein Stück besonders das Herz zerreisst und dabei, wie zur Bestätigung der eigenen Wahrnehmung, immer wieder auf die selben Namen zu stoßen, The Middle East zum Beispiel, Iron & Wine oder auch José González – Superstars, von denen ich noch nie etwas gehört habe, so gehts dem Rest des Landes wohl auch, ausgenommen die entsprechende Nerd-Szene, von der ich annehme, dass es eine gibt, die gibt‘s nämlich immer.

Woran aber liegt es, dass diese immer engelsgleichen Stimmen, die stets klingen, als habe sich erst gestern ein guter Freund auf den Weg ins Jenseits gemacht, dazu die endlos gezupften Gitarrensaiten, die vergeblich versuchen einen riesigen leeren Raum in der Mitte Amerikas zu vermessen, dass die einem also beim Hören so die Luft rauslassen können, und sich damit scheinbar mühelos in diese Unverzichtbarkeit schummeln?

Ich glaube, es sind wiederum immaterielle Dinge, die das so leuchten lassen: Die Landschaft, der Wind, der Geruch des Viehs auf der Weide. Der unbändige Durst, den schon ein Whiskey stillen könnte, einen aber verzweifeln lässt an dieser einsamen Landstraße. Die nach Regen riecht und an der noch nicht mal in der Ferne ein leuchtendes Bar-Schild zu sehen wäre, was der Erdkrümmung zu verdanken ist. (Das Cover, ein recht banales Abziehbild dieser Szene, erzählt davon.) Ein Leben lang wurde das alles inhaliert, um es im Studio wieder rauszusingen.

Alles in allem sind so Giganten entstanden, von Neil Young bis Fleet Foxes. Alle zu heiß gebadet im „Great American Songbook“, als Kinder in ein Fass mit flirrenden Melodien gefallen, fragwürdige Pilze gegessen, die eigene Cousine geschwängert, das schönste Fohlen eigenhändig zur Welt gebracht, was weiß ich. Die brauchen dann ein restliches Leben lang keinen Zaubertrank mehr. Was sie anfassen, wird Song. Das liegt auch am Wetter.

OFFICE CHART FRÜHLING

Was wir in diesen Monaten im Büro hören

477F3E59-3341-4156-9740-3BF61CAC1D0AYung Hurn – 1220

„Baby, ich hab‘ Pillen und so“ – Keine drei Minuten im Auto, schon der erste Beinah-Unfall auf dem Weg zum Lautstärkeregler: endlich Musik, die sich kein Erwachsener mit flankierendem Business-Plan ausgedacht haben kann. Eher so, dass Mutti und Vati das unbedingt hassen werden, aber das passt natürlich so. Cloud Rap überhaupt: Eine Art HipHop auf Zeitlupe, was weniger an den Beats liegt, fast alle Stücke fangen wie eine majestätische Soulballade an um sich sogleich in dieser Verheißung wieder zu verheddern, spätestens wenn das sedierte Autotune-Genuschel anfängt – drogeninduziert und damit von einem dermassen existentiellen Ennui getragen, dass Yung Hurn vor lauter Gleichgültigkeit kaum die Zähne auseinander kriegt. Bei ihm ist das auch noch österreichisch gefärbt, ein per se schon äusserst müder Dialekt, mit dem man aber definitiv die geschmeidigsten Schnitten in die Kiste zu kriegen scheint, vorausgesetzt man hat Pillen und so (siehe so ziemlich jedes Video). Zwischendurch blitzt allerdings eine so ans Herz gehende elektronische Illustration dieses grundlegenden Zustands auf, Hellwach zum Beispiel, dass einem dieses Herz fast übergeht, wahlweise vor Mitleid oder milder Euphorie. Wenn man Diedrich Diederichsen folgen möchte, der schon vor Jahren schrieb, man erkenne jede wichtige neue Musik daran, dass erstmal alles gleich klingt, dann hat man hier genug zu tun. Nein, Ok cool, Pillen – die Texte sind, neben einer fast beiläufigen Poesie, gelegentlich das, was man explizit nennt, man steckt wahlweise in irgendeinem Mund oder sucht gerade nach ‚was zum ziehen‘, letztlich aber doch nur nach Liebe (Bist Du alleine?, Fühlen). Am Ende sind es immer nur die selben paar Dinge, die einen den öden Kreislauf ertragen lassen, der nunmal entsteht, wenn man „deren Spiel“ nicht mitspielen will, und eigentlich auch sonst keins und so. Recht schlimm insgesamt, recht ungeeignet für Kinder, recht kurzatmig, wenn es um Fragen der Moral oder Vernunft geht. Kurzum: recht groß.

 Außerdem:

The Cinematic Orchestra – To Believe

Romare – Who Loves You?

Romare – La Petite Mort

Sascha Funke – Take a Chance with me

Beck – Lonesome Tears

Chilly Gonzales – Lana Del Rey Medley (zweistündige „Music’s Cool“ Lektion)

Alt-J – Taro

Jon Hopkins – Everything Connected

DJ Koze – Scratch That (feat. Róisin Murphy)

Ufo361 – Der Pate

Captain Beefheart – Further than we’ve gone

The The – Uncertain Smile (XL Version Live)

Das Paradies – Die Giraffe streckt sich

2Raumwohnung – Somebody lonely and me (DJ Koze Remix)

Christian Löffler – Yorck

The Smiths – Asleep (Fanvideo)

DJ Shadow – Bergschrund (feat. Nils Frahm)

Jeff Buckley – I know it’s Over

The Cure – The Last Day of Summer

Die Links führen in der Regel zu sehenswerten Videos auf vimeo oder youtube und gehen in einem neuen Fenster auf.

 

ÉCRITURE AUTOMATIQUE (3)

Der Sinn von Träumen ist, dass man sich beim Schlafen nicht langweilt. Das ist alles. Max Goldt

Cate_blanchettHabe geträumt, dass ich mit Cate Blanchett im Ozean schwimme. Wir sind sehr weit draussen, es ist nirgends Land zu sehen. Wir schwimmen nicht wirklich, sondern lassen uns mehr treiben, wechseln mit ein paar kräftigen Zügen die Position, dabei kichern und lachen wir, niemand spricht etwas. Große Wellen rollen an und heben uns hoch, lassen uns dann wieder in ein Tal fallen. Aber sie kommen und gehen wie in Zeitlupe, die Wasseroberfläche wirkt, als würde ein öliger Film darüber liegen. Es ist spät am Nachmittag, die tiefstehende Sonne lässt das Wasser rötlich aussehen, fast wie flüssiger Kupfer, bald wird es dunkel. Unser Treiben im Meer ist kindlich, wir versuchen uns zu erreichen und dann wieder zu entkommen. Ihr Kichern ist plötzlich weiter entfernt, sie taucht aus den Wellen auf, lacht, verschwindet wieder. Dann wird es leiser, und sie scheint sich in einem Wellental einfach aufgelöst zu haben. Ganz leicht streift mich die Erkenntnis, dass ich alleine im weiten Ozean bin, aussichtslos und ohne Rettung, und dass unter mir jede Menge schlimme Tiere schwimmen. Aber es reicht nicht, um mich in Panik zu versetzen, dafür ist die schwerelose Situation zu angenehm. Aber wo ist Cate, warum ist sie verschwunden? Aufgewacht.

 

IM PAPIERKORB DER GESCHICHTE

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Keith Emerson, der Keyboarder von „Emerson, Lake and Palmer“, hat sich neulich in Santa Monica mit 71 eine Kugel in den Kopf geschossen. ELP ist eine längst vergessene Prog-Rock-Band, das ist die Kurzform von „Progressive Rock“, einer Musikrichtung, deren Ambition auch schon ihr schleichender Untergang war, nämlich durch Annäherung an Klassik und Jazz etwas vermeintlich Besseres zu sein als eine Rockband. Ein ebenso hilfloser wie vollkommen rätselhafter Wunsch, der zu grausamen Ergebnissen geführt hat, das weiß jeder der schon mal Jon Lord oder Rick Wakeman bei klarem Verstand gehört hat.

Der Beitrag von Emerson zur internationalen Hippie-Kultur ist glaube ich unbestritten, ich sage nur „ausufernde Keyboard-Soli“. Und jetzt kommt’s, zwei steile Thesen: Das Stück Lucky Man ist nicht nur schaurig-schön und offenbar ihr größter Erfolg gewesen, es zeigt ab Minute 3’23 auch etwas, das in den Neunzigern Folgen gehabt haben könnte, nämlich das lustbetonte Benutzen eines Synthesizers gegen die Betriebsanleitung, ein Verfahren, das zu den Geburtshelfern des Technos gehört. Emerson als Vater des Raves? Eher nicht, hier kommt These zwei: je mehr progressiver Hippie gewesen, desto schlimmerer Sack im Alter. Rick Wakeman, der als Keyboarder der Bands „Yes“ und „Asia“ gleich die doppelte Strafe absitzen müsste, hat 1977 persönlich bei der Plattenfirma eingegriffen, um zu verhindern, dass die „Sex Pistols“ unter Vertrag genommen werden. Doofheit in zwei Punkten: der Glaube, ein führendes Label würde sich außerhalb der zu erwartenden Umsätze tatsächlich für „Musik“ interessieren, und der Versuch, etwas Neues aufzuhalten, nur weil man es nicht versteht.

Leider schien Keith Emerson in ein ähnliches Horn zu blasen, Punks waren auch für ihn „Neandertaler“ und steter Quell der Verachtung, und einer der letzten Einträge in seinem Blog galt dem angeblichen Standesdünkel des BBC Rundfunk Orchesters, das es bei der Aufführung eines seiner Spätwerke geschafft hatte, den Meister zu verärgern, in dem es in bewundernswerter Indifferenz Ohrstöpsel benutzte, um die jaulenden Keyboard-Soli unbeschadet zu überstehen. Zwei von Ihnen verliessen offenbar auch die Bühne mitten im Stück. „Rock musicians don’t behave like this“, mault Emersons letzter Satz, und vielleicht ist das genau das Problem, lässt es doch schon die BBC-Streicher als vergleichsweise originelle Punker dastehen.

Direkt darüber steht auf der Homepage auch Emersons letztes Video, bei dem man lernen kann, dass ein alter Traum offenbar auch der sein kann, einmal im Leben beim Jubiläum des „hardest day“ (Luftschlacht um England) ein Kampfflugzeug namens Spitfire als Co-Pilot zu fliegen, aber gut: schlechter Geschmack ist natürlich Privatsache. Das Video ist, klar, mit seiner Musik unterlegt und ein schmerzhafter Beleg für siehe oben. „Warum will keiner mehr mein Brandenburgische-Konzerte-Lookalike-Georgel hören?“ schreit einem der Soundtrack förmlich entgegen, davor stampft militärisch ein Bolero à la Ravel vor sich hin.

Überhaupt scheint ein gemeinsames Merkmal dieser Herren (es gibt keine Frauen im Prog Rock) das schlechtgelaunte Herumsitzen in sehr großen englischen Landhäusern zu sein (ELP: 50 Mio. Alben in vier Jahren). Belege habe ich keine, aber Indizien: Tony Banks, neulich in dieser Genesis-Doku auf arte, wie er im permanenten Wechsel zwischen Verteidigung der eigenen Bedeutung und sichtbarer Geringschätzung des entspannt in der Runde sitzenden Peter Gabriel statt eines Kopfes nur noch eine große beleidigte Leberwurst auf den Schultern trug. Oder Roger Dean, mit seinen Harley-Airbrush-Fantasywelten so etwas wie der Chef-Grafiker des Prog Rock (siehe so ziemlich jedes „Yes“-Albumcover), der James Cameron erfolglos verklagte, weil dieser in „Avatar“ seinen Style geklaut habe (der mir eher von Bilal und Moebius inspiriert scheint). Oder, etwas off topic, „Led Zeppelin“s Jimmy Page, seinen Nachbarn Robbie Williams vor Gericht zerrend, weil der bei seinem Millionen-Villen-Neubau plötzlich in Jimmys‘ Millionen-Villen-Altbau gucken kann. Der gängige Schmäh-Begriff für das Genre lautet übrigens „Hobbit Rock“.

Der vorletzte Satz soll Jon Hunt vom L‘ Étoile Magazine gehören, dem einzigen Prog Rock Verfechter mit Humor und Selbstironie, der offenbar bis heute nicht müde wird, seine unmittelbare Umgebung mit dem Abspielen von Gentle-Giant-Doppelalben zu traktieren. Aber selbst bei ihm fällt zu „Emerson, Lake and Palmer“ nur ein wirklich markanter Satz: „Keith Emerson, as everybody knows, is a straight-up dick.“

Also, liebe Jugendliche: Finger weg von den Keyboards. Es sei denn, ihr macht damit so etwas.

 

OFFICE CHART JANUAR / FEBRUAR

Was wir diesen Monat im Büro hören

Blackstar

David Bowie – Blackstar

Das definitiv Beste an diesem Album ist, wie alles Dröhnende, Hässliche, Billige plötzlich wegschmilzt, sich klein macht und rückwärts verdrückt, wenn Blackstar läuft. Ich stand in Köln rauchend am offenen Hotelfenster, am Abend des Tages als Bowie starb, und mit dem leichten Nieselregen, der auf den Bambusgarten im Innenhof fiel, schien auch das ganze verprollte Jeckentum dieser Stadt weggespült zu werden, oder besser gesagt: sich zu ducken und abzutreten, solange nur der Titelsong aus der Mitte des Zimmers von hinten an mir vorbei ins Freie wehte. Alle überambitionierte, grell ehrgeizige, parodistische und variétéhafte Kleinkunst, von der es so unglaublich zuviel gibt und von der nicht ein einziger Weg zu Schönheit führt, hat kurz Pause und hält ihr plapperndes Mundwerk. Getroffen von der Erkenntnis, dass sie in all ihren Erscheinungen niemals auch nur annähernd soviel Welt und Geschichte und Gefühl wird legen können, wie Bowie sie kurz vorm Sterben noch in eine Dreiviertelstunde gepackt hat. Eine Dreiviertelstunde voller letzter Lieder, in der eine Art Anti-Sonne aufgeht. Ein schwarzer Stern.

Außerdem:

David Bowie – Rock’n’Roll Suicide

David Bowie – Wild is the Wind

David Bowie – Subterraneans

David Bowie – V-2 Schneider

David Bowie – The Secret Life of Arabia

David Bowie – Red Money

David Bowie – A new career in a new town

David Bowie – As the world falls down

David Bowie – I’m afraid of Americans (feat. Nine Inch Nails)

David Bowie – There is a happy Place

Die Links führen in der Regel zu sehenswerten Videos auf vimeo oder youtube und gehen in einem neuen Fenster auf.